Osnabrücker Friedenssingen und Friedensgottesdienst – Erinnerung an den Friedensschluss vor 375 Jahren

Nachricht 26. Oktober 2023

Gänsehautmomente und die große Sehnsucht nach Frieden

Gänsehautmomente auf dem Marktplatz in Osnabrück beim Friedenssingen. Die Organisatoren hatten nicht zu viel versprochen. 2.000 Menschen hatten sich vor der historischen Kulisse des Rathauses des Westfälischen Friedens versammelt – zum Friedenssingen in Erinnerung des 375. Jahrestages der Unterzeichnung des Friedensvertrages und seiner Verkündung von der Rathaustreppe aus. Es waren Osnabrücker Bürger, Gäste und rund 200 junge Chorsängerinnen und -sänger. Die jungen Musiker waren aus den Niederlanden, Frankreich und Schweden angereist und traten gemeinsam mit dem Osnabrücker Jugendchor auf. Den riesigen Chor dirigierte Musikprofessor Michael Schmoll zugewandt und locker zu Songs wie „Dona nobis pacem“, „We shall overcome“, „Give Peace a Chance“ und dem hebräischen Friedenslied „Lo yisa goy“. Zum Abschluss stimmten nach den Posaunen vom Marienkirchturm alle gemeinsam „Nun lob mein Seel den Herren“ an. Das Kirchenlied ist so etwas wie die Osnabrücker Friedenshymne. Die Menschen hatten es vor 375 Jahren spontan aus Freude über den Frieden nach 30 Jahren Krieg gesungen.

Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) erinnerte daran, dass es mit dem Westfälischen Frieden damals gelungen sei, für lange Zeit Frieden und Stabilität zu gewährleisten. „Die Gesandten haben das geschafft, weil sie bereit waren, Kompromisse einzugehen und einander zu vertrauen.“ Wie vor 375 Jahren so brauche man auch heute Kompromissbereitschaft, Toleranz und Vertrauen. „Damit kann jeder bei sich selbst anfangen.“

Auch Münsters Oberbürgermeister Marcus Lewe (CDU) rief dazu auf, scheinbar unüberwindbare Differenzen hinter sich zu lassen. Nicht zuletzt die Musik eröffne dazu vielfältige Wege. Er begrüßte besonders die Kinder vor der Bühne: Ihre Gabe, Konflikte friedlich zu lösen, müsse in Kindergärten und Schulen eingeübt und unterstützt werden. Dazu trage auch die direkte Begegnung bei, wie sie in den letzten Tagen geschehen sei, außerdem internationale Partnerschaften und Austausche.

„Die Welt ist aus den Fugen“

Nach rund einer Stunde wechselte der große Chor – das „Te Deum“ singend – hinüber in den Dom. Bei dem von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Osnabrück (ACKOS) vorbereiteten Gottesdienst hielt Bischöfin Kirsten Fehrs aus Hamburg, stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Predigt. Darin legte sie die Worte des Philipper-Briefes (Phil 2,1-5) aus: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient.“

„Die Welt ist aus den Fugen“, begann die Bischöfin. Mit den Anschlägen der Hamas auf Israel sei eine zivilisatorische Grenze überschritten worden. Unschuldige Opfer auf allen Seiten. Angesichts all dessen könne man nicht dankbar genug dafür sein, im Frieden aufwachsen zu dürfen. Sie erinnerte an die zähen, geduldigen, fünf Jahre währenden Verhandlungen erschöpfter Kriegsparteien. „1648 war ein kleines Weltwunder. Den Hut muss man ziehen vor den Königen der Kompromisse.“ So lange dürfe es heute nicht dauern. Es bedürfe einer Haltung der Einfühlsamkeit, an den Frieden zu glauben, darum zu bitten und ihn erringen zu wollen. Aus dem Predigttext hob die Bischöfin die dazu notwendigen Begriffe hervor: „Demut“, „Achtung“ und „dem andern zu dienen“. „Gott schenke uns den Blick aus dem Philipperbrief. Er schenke uns diesen uneigennützigen Blick darauf, was dem anderen zum Guten dient, dem Kind, den Alten und dem geflüchteten Menschen in der Nachbarschaft auch.“ Dann vielleicht könne man dem Wunder die Hand reichen. Die stellvertretende EKD-Vorsitzende forderte, trotz Terror und kriegerischer Gewalt in Israel, der Ukraine und weiteren Konflikten weltweit niemals die Friedensbemühungen aufzugeben. Der flehentlichen Bitten um Frieden und des Glauben daran bedarf es immer mehr, sagte Fehrs.

„Friede, dir, Jerusalem, und Friede, dir, Gaza“

Im Anschluss an den Gottesdienst verlieh Superintendent Dr. Joachim Jeska den Osnabrücker Ökumenepreis 2023, den sich zwei Preisträger teilen. Für ihre „Graswurzelarbeit, eine alltägliche und in gemeinsamen Projekten gelebte Ökumene“ wurden die Evangelisch-lutherische Johanneskirchengemeinde Vehrte und die Katholische Kirchengemeinde Schmerzhafte Mutter Icker ausgezeichnet. Gefragt zu dem Projekt konnte Pastor Simon Kramer von der Johannisgemeinde in Vehrte nur diese eindringliche Bitte vortragen: „Friede, dir, Jerusalem, und Friede, dir, Gaza“.

Das noch ganz junge Projekt „Trude lädt ein“ bietet rund um die Gertrudenkirche in Osnabrück einen Ort, der neben spirituellen und kulturellen Angeboten auf Dauer auch ein Café betreiben will. „Wir wollen – sehr verschieden erlebte – Realitäten zusammenbringen. Das integrative Moment von Menschen mit psychischen Erkrankungen als Teilnehmende bezeihungsweise Besucher*innen liegt uns am Herzen“, sagte die Vertreterin von „Trude lädt ein“. In dem Team arbeiten Bistum, die Krankenhausseelsorge am Ameos-Klinikum und die Heilpädagogische Hilfe Osnabrück mit Ehrenamtlichen zusammen.

Hintergrund

Das Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde am 25. Oktober 1648 von der Osnabrücker Rathaustreppe verkündet. Die Verträge waren einen Tag zuvor, am 24. Oktober in Münster unterzeichnet worden. Gesandte der Kriegsparteien hatten bis dahin fünf Jahre lang in beiden Städten verhandelt, während die Kampfhandlungen weitergingen. Der Friedensschluss stabilisierte die Machtverhältnisse im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und bestimmte erstmals die Gleichberechtigung von Katholiken, Lutheranern und Calvinisten. Er befriedete auch äußere Konflikte wie mit Frankreich und Schweden und gilt als Grundlage für die Entwicklung des Völkerrechts. Basis war unter anderem eine Amnestie für alle Gewalttaten in den 30 Kriegsjahren, in denen bis zu 6,5 Millionen Menschen ums Leben kamen. Mitveranstalter des Friedenssingens war der Deutsche Chorverband. Dessen Präsident, Bundespräsident a.D. Christian Wulff, erhofft sich davon ein eindrucksvolles Signal für Frieden, Zusammenhalt und Respekt.

(Text: Sprengel Osnabrück, Brigitte Neuhaus, mit epd; Fotos: Thomas Arzner, Brigitte Neuhaus. Petra Jeska)